Dieser Artikel ist mein Versuch eine Kurzanleitung für angehende Fliegenwerfer zu erstellen. Ich bringe hier ab und an auch ein paar englische Begriffe mit ein, da die meisten guten Bücher dummerweise nur in englischer Sprache zu bekommen sind und dies dem einen oder anderen das Lesen möglicherweise etwas vereinfacht.
Die fünf Grundregeln
Ein grundlegendes Ziel, das sowohl für den Grundwurf als auch für die meisten anderen Würfe angestrebt wird, ist das Werfen einer engen Schlaufe („Sexy loop“).
Für ein enges Schlaufenbild (links) muß sich die Rutenspitze während des Großteils der Wurfbewegung „nahezu“ auf einer Geraden befinden. Um dies beim Wurf zu erreichen, werden häufig die sogenannten fünf Grundregeln [1] herangezogen, auf die ich hier im Einzelnen eingehen werde. Dabei ist die erste Regel die eigentlich wichtigste Regel, während die anderen Regeln eigentlich nur dafür sorgen, daß Regel Nummer eins eingehalten wird.
Regel 1: Die Rutenspitze bewegt sich auf einer geraden Linie („Straight line path – SLP“) *.
Regel 2: Die Schnur wird progressiv beschleunigt.
Regel 3: Zu Beginn des Wurfes muß die Schnur gestreckt sein („no slack“).
Regel 4: Nach dem Stop warten, bis sich die Schnur (fast) vollständig ausgerollt hat.
Regel 5: Arbeitswinkel („casting arc“) und Arbeitsweg sind von der Schnurlänge abhängig.
Jede Regelverletzung macht sich in einem fehlerhaften Schlaufenbild bemerkbar und stellt somit einen Wurffehler dar. Durch das Verständnis der fünf Regeln in Verbindung mit einer Beobachtung des Schlaufenbildes lassen sich also Wurffehler gut erkennen und beheben.
* (Bei einer perfekten Geraden würde die Schnur auf die Rutenspitze treffen, dennoch versucht man sich möglichst nah an die Gerade anzunähern)
Ok, wie erwähnt, ist Regel Nummer eins die eigentlich wichtige Regel. Ich werde jetzt versuchen zu erklären, warum eine Verletzung der anderen vier Regeln meistens auch zu einer Verletzung der ersten Regel führen wird.
Die progressive Beschleunigung
Warum muß die Schnur progressiv (langsam ansteigend) beschleunigt werden? Für die Antwort müssen wir einmal kurz in der Mottenkiste kramen und den alten Newton zu Rate ziehen, der uns sagt, die Kraft auf eine Masse (hier unsere Fliegenschnur) hängt von der Beschleunigung dieser Masse ab:
Kraft = „Masse der Fliegenschnur“ x „Beschleunigung der Fliegenschnur“
Wegen actio = reactio (ebenfalls von Newton) wirkt die Kraft beim Beschleunigen der Schnur wiederum auf unsere Rute, die sich entsprechend durchbiegt (Ladung der Rute).
Schauen wir uns also anhand einer Skizze (Abb.: 2) an, wie sich eine Rute bei unterschiedlichen Wurfbewegungen verhält.
Bewegt sich die Rutenspitze (rein theoretisch) mit einer konstanten Geschwindigkeit also unbeschleunigt, wird keine Kraft auf die Schnur und somit auch keine Kraft auf die Rute ausgeübt, die Rute biegt sich nicht durch und die Spitze verläßt den geraden Weg (siehe Abb.: 2 (a))!
Die langsam(!) ansteigende Beschleunigung hingegen verursacht eine zunehmende Biegung der Fliegenrute, wodurch sich die Spitze entlang der gewünschten Geraden bewegt (siehe Abb.: 2 (b)). Genau genommen biegt sich die Rute unter Beschleunigung natürlich auch ohne Schnur, schließlich verfügt sie ja auch über eine eigene Masse. Das ändert aber nichts am eigentlichen Prinzip.
Es leuchtet hoffentlich ein, daß die Rutenspitze auch dann die Gerade verläßt, wenn die größte Beschleunigung nicht zum Ende hin stattfindet sondern bereits am Anfang oder in der Mitte des Bewegungsablaufes.
Die Schnur muß zu Beginn des Wurfes gestreckt sein
Kommen wir zur nächsten Regel, was passiert, wenn die Schnur zu Beginn des Wurfes nicht gestreckt auf dem Boden bzw. dem Wasser liegt?
Immer dann, wenn zu Beginn der Wurfbewegung die Schnur in losen Kringeln vor einem liegt, wird ein Teil der Bewegung nur dazu genutzt, zunächst die Schnur zu strecken. Ein Großteil der Schnur wird also zunächst überhaupt nicht bewegt. Wenn wir aber nur einen kleinen Teil der Masse bewegen, wird auf die Rute entsprechend auch nur dieser kleine Teil der Kraft wirken. Selbst, wenn die Rute progressiv beschleunigt wird, gilt dies nicht mehr für die wirkende Kraft! Das Ergebnis ist eine zeitweise Abweichung von der angestrebten Geraden.
Dieser Wurffehler resultiert häufig in einem sogenannten Windknoten („Tailing Loop“). Häufig liest oder hört man, einen Windknoten finge man sich ein, wenn die Rutenspitze einen konvexen (ich verwende hier die mathematische Definition) Wurf durchführt. Das ist allerdings nicht richtig. In beiden Fällen öffnet sich lediglich die Schlaufe! (Probieren Sie es ruhig aus)
Nur wenn die Rutenspitze zwischendurch – also kurzzeitig – entlang eines konvexen Weges bewegt wird, kommt es zu einem Windknoten.
Das „Timing“ – Warten, bis die Schlaufe (fast) vollständig ausgerollt ist
Zum Ende, also dort wo in Abbildung 2 die Rute ihre „volle“ Ladung erreicht, wird der Bewegungsablauf abrupt gestoppt, ansonsten würde die Rutenspitze wieder von der Geraden abweichen (im Detail hier). Nach dem Stop rollt sich die Fliegenschnur aus und währenddessen haben wir zwei Schnurteile, einmal der Teil, der direkt mit der Rutenspitze verbunden ist („Rod leg“) und der Teil, an dem die Fliege hängt („Fly leg“).
Das „Rod leg“ liegt sozusagen in der Luft, während sich das „Fly leg“ von der Rute wegbewegt (was wir als Abrollen bezeichnen). Leiten wir bereits während des Abrollens unsere Wurfbewegung ein, wirkt unsere Kraft fast ausschließlich auf das „Rod leg“, was ebenfalls zu einer nicht progressiven Kraftsteigerung führt und ebenfalls in einem Windknoten (siehe Abb.: 3) bzw. zu einem Peitschenknalleffekt führen kann.
Arbeitswinkel und Arbeitsweg
Grundsätzlich besteht der Wurfablauf aus einer Translationsbewegung (Arbeitsweg) und einer Rotationsbewegung (Arbeitswinkel), die von den meisten guten Werfern in der entsprechenden Reihenfolge angewand werden. Soll heißen, auf eine Transaltionsbewegung folgt das Umlegen der Rute also die Winkeländerung:
\\\\\\\|//
Da physikalisch gesehen gilt: Arbeit = „Kraft“ x „Weg“, hat man beim Werfen langer Schnüre zwei Möglichkeiten, man kann entweder mehr Kraft in den Wurf einbringen oder man verlängert den Weg der Rutenspitze. In der Regel läßt sich Kraft weit schwerer kontrollieren als der Rutenweg, weswegen man diesen zunächst einmal voll ausschöpfen sollte, bevor man anfängt mehr Kraft in den Wurf einzubringen. Viele Werfer verwenden leider mehr Kraft, sobald sie versuchen „weit“ zu werfen. Dabei lassen sich 20 m Schnur und mehr mit dem gleichen Kraftaufwand werfen, wie sie für 10 m notwendig sind.
Zuviel Kraft, in der Regel unkontrolliert und damit eine Abweichung von der Geraden verursachend, ist einer der häufigsten Wurffehler.
Wann immer man also das Bedürfnis nach mehr Weite haben sollte, ist es ratsam, zunächst das Einhalten aller fünf Regeln zu trainieren.
Quellen:
1. Bill Gammel – Five essentials (Youtube-Video, letzter Zugriff 6. Oktober 2020)
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