Nach einer eher theoretischen Betrachtung der Rutenaktion im letzten Jahr, möchte ich dieses mal den Blick etwas stärker auf die Praxis ausrichten. Genauer geht es um das Verhalten einer Fliegenrute beim Werfen sowie beim Drillen eines Fisches.
Der richtige Drill
Bei einem korrekt ausgeführten Drill wird keine oder kaum eine Biegekraft auf die Rutenspitze ausgeübt. Die Kraft, die beim Drill wirkt kommt primär aus dem deutlich kräftigeren Griffteil der Rute.
Im Bild ist zu erkennen, wie Florian gerade eine kampfstarke Nase drillt, dabei hält er das Griffstück der Rute in einem Winkel von etwa 90° zur Zugrichtung. Betrachten wir einmal die alternativen Möglichkeiten.
Florian könnte mit der Rutenspitze auch weiter in Zugrichtung zeigen, wodurch die Belastung der Rute als ganzes – also nicht nur in Bezug auf die Spitze – gesenkt würde. Der Nachteil hierbei wäre aber der Verlust des Puffers den die Rute bildet, wenn der Fisch ruckartige Kräfte auf die Schnur ausübt. Ein Bruch des Vorfaches wäre dabei beinahe vorprogrammiert.
Die andere Möglichkeit bestünde darin, die Rutenspitze stärker anzuheben, was dazu führt, daß die Biegung vom Griffteil weiter nach oben in die Spitze wandert. Im schlimmsten Fall wird die Biegung dann so stark, daß es zu einem Bruch der Rutenspitze kommt.
Je nach Rutenaktion kann der optimale Winkel etwas von den 90° abweichen. In der Praxis sieht man aber welcher Teil der Rute am stärksten belastet ist. Es gilt beim Drill also stets zu versuchen, ein vernünftiges Mittelmaß zwischen ausreichend Puffer (großer Winkel) und ordentlichem „Druck“ (kleiner Winkel) zu finden.
Unterschiedliche Taper einzig für unterschiedliche Aktionen?
Unter dem „Taper“ einer Rute versteht man die Änderung des Rutendurchmessers vom Handteil bis zur Spitze. Ruten mit einer „schnellen“ Aktion besitzen ein kräftigeres Handteil und ihr Durchmesser nimmt zur Spitze hin schneller (daher der Name!) ab als bei Ruten mit einer „langsamen“ Aktion. Beim Drill kann mit der „schnellen“ Rute wegen des kräftigeren Handteils mehr Druck aufgebaut werden. Sobald das Puffern wichtig wird, muß entsprechend der Winkel angepasst werden. Übrigens, „schnelle“ Ruten werden häufig als spitzenbetont bezeichnet bzw. ihre Aktion als Spitzenaktion beschrieben.
Das stärkere Handteil und damit die höhere „Drillkraft“ kommt aber nicht nur dann zum Tragen, wenn die Aktion der Spitze betont werden soll, sondern auch dann wenn man die Rutenlänge vergrößern möchte. Nicht umsonst können beim Euronymphen Ruten der Schnurklasse #2 oder #3 eingesetzt werden. Diese Ruten haben häufig Längen die 30-60cm über der Standardlänge (274 cm) liegen und somit Handteile, deren Dicke mit denen einer 9 Fuß langen #5er vergleichbar sind.
Einfluß verschiedener Schnüre
Immer wieder liest man, eine Schnur mit einer höheren Schnurklasse „verwandle“ eine Rute mit schneller Aktion in eine Rute mit mittlerer oder gar langsamer Aktion. Das ist meiner Ansicht nach nicht ganz richtig. Hier muß man zwei Aspekte unterscheiden. Beim Drill hat das Schnurgewicht keinen wesentlichen Einfluß auf das Verhalten der Rute. Beim Werfen sieht die Sache hingegen anders aus.
Stellen wir uns der Einfachheit halber eine Schnur mit konstantem Durchmesser vor. Eine AFTMA-konforme Schnur der Klasse #5 hat auf den ersten 30 Fuß (9,144 m) eine Masse von ca. 9,1 Gramm.
Man kann also sagen, 1 m Fliegenschnur der Klasse #5 hat eine Masse von einem Gramm. Eine Schnur der Klasse #6 hat pro Meter eine Masse von 1,14 Gramm also 14% mehr. Andersrum bedeutet das, eine Schnur der Klasse #6 wirkt bereits mit einer Schnurlänge von 8 Metern mit der gleichen Masse wie 9,1 Meter Schnur der Klasse #5.
Für den Werfer bedeutet ein höheres Schnurgewicht, daß er bereits mit weniger Schnur die Rute „aufladen“ kann bzw. bei gleicher Schnurlänge eine stärkere Biegung der Rute erzwingt. Eine stärkere Rutenbiegung verlangt einen längeren Rutenweg, dadurch verlängert sich entsprechend der gesamte Wurfablauf und läßt somit die Aktion „langsamer“ erscheinen.
In der Praxis findet man heute kaum noch Schnüre, die sich an der AFTMA-Tabelle orientieren, da dies bei den verschiedenen Schnurprofilen auch nicht immer sinnvoll ist. Der Fliegenfischer, der mehrheitlich im kleinen Wiesenbach unterwegs ist, wird vermutlich viel kürzere Reichweiten benötigen als jemand, der in einem breiten Forellenfluß steht. Entsprechend wird der Bachangler das Bedürfnis haben bereits mit wenig Schnur außerhalb der Rutenspitze arbeiten zu können und sich so für eine kurzkeulige Schnur entscheiden. Der Weitenjäger auf der Wiese ist hingegen mit einer langen Keule meist besser bedient.
Interessanter als die Schnurklasse ist also vielmehr das Gewicht der gesamten Keule. Das läßt sich für jede Rute individuell und zudem relativ einfach ermitteln. Dazu muß man die Rute zunächst waagerecht mit dem Griffstück an einem Tisch befestigen. Dabei gilt es zu beachten, daß das Griffstück meist zigarrenförmig geschliffen ist und man deshalb durch unterlegen von Bierdeckeln oder was einem sonst so in die Finger kommt, die Waage zunächst genau ausrichten muß. Jetzt hängt man vorne an den Spitzenring einen kleinen Beutel und füllt diesen z.B. mit Münzen, Sand oder was man gerade zur Verfügung hat. Durch das Gewicht wird sich die Rutenspitze absenken. Man füllt nun gerade soviel Gewicht auf, bis sich die Rutenspitze 1/15 der Rutenlänge (ohne Griff gemessen) nach unten gebogen hat.
Bei einer typischen Rute von 274 cm Länge bleiben nach Abzug des Griffstückes z.B. 240 cm übrig. Man hängt somit an die Rute gerade soviel Gewicht, daß die Spitze um 16 cm nach unten ausgelenkt wird. Das Gewicht wird anschließend mit einer Küchenwaage gemessen und anschließend kann man sich eine Schnur aussuchen, wobei nun das Gewicht der Keule etwa mit dem gemessenen Gewicht aus der Meßmethode übereinstimmen sollte.
Aber Vorsicht, auch diese Meßmethode hat ihre Grenzen, wenn man sich etwa in Extreme begibt. Für Keulenlängen um die 8-12 Meter ist diese Methode aber zumindest ein Richtwert. Letztlich gilt aber wieder, die Kombination aus Rute und Schnur muß zum Gewässer, zum Zielfisch und natürlich zum Werfer passen.
Diese Methode ist übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen, ich finde sie aber sehr einfach und praxistauglich, deswegen habe ich sie hier mit aufgenommen. Falls jemand weiß, wer der Ideengeber ist, würde ich seinen Namen an dieser Stelle gerne erwähnen und mich über eine entsprechende Info freuen.