Immer wieder stößt man in Fachbüchern und Fachzeitschriften für Angler auf Aussagen über das „Beißverhalten“ von Fischen bei Luftdruckänderungen. Leider fehlen den Berichten in der Regel konkrete Belege für die gemachten Behauptungen, z.B. durch die Veröffentlichung von Fangbüchern, Videobeobachtungen oder anderen nachvollziehbaren Daten.
Hauptsächlich begründet wird das Beißverhalten durch zwei Thesen:
- Bei sogenannten Physoklisten findet eine Befüllung bzw. Entleerung der Schwimmblase über den Blutkreislauf und dadurch nur langsam statt. Eine Änderung des Luftdrucks schlägt den Fischen sinngemäß also auf die Schwimmblase.
- Die Sauerstoffsättigung von Wasser ist vom Luftdruck abhängig, hier wird gerne die Flasche Mineralwasser als Beispiel herangezogen.
Betrachtung der vorgebrachten Thesen
An dieser Stelle soll auf die beiden Punkte eingegangen werden, wobei der zweiten These eine höhere Aufmerksamkeit gewidmet wird und auch ein wenig über die Argumentation hinaus das Thema Sauerstoffgehalt eines Gewässers betrachtet werden soll.
Einfluß auf die Schwimmblase
Der Normluftdruck liegt bei 1013 hPa und je 1 m Wassertiefe kommen weitere 98 hPa hinzu. Grob gesagt entspricht eine Luftdruckänderung von 1 hPa also einer Tiefenänderung von ca. 1 cm.
Schauen wir uns einmal ein paar Extremwettersituationen genauer an. Bei Taifun Forrest [1] wurde im September 1983 im nordwestlichen Pazifik ein Druckabfall von 100 hPa innerhalb von etwa 23 Stunden gemessen. Dies entspräche ziemlich genau dem, was ein Fisch ertragen müsste, begebe er sich innerhalb dieses Zeitraumes einen Meter Richtung Oberfläche.
Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß Änderungen des Luftdrucks der Schwimmblase, egal ob von Physoklisten oder Physostomen, in irgendeiner Weise überdurchschnittliches abverlangen.
Einflüsse auf den Sauerstoffgehalt in Wasser unter Laborbedingungen
Betrachten wir zunächst den Sauerstoffgehalt eines Laborgewässers also einem fiktiven Gewässer, bei dem alle anderen außer der zu beobachtenden Einflüsse vollständig abgeschirmt werden können.
Temperatur bei Normaldruck (1013 hPa)
Für einen Sättigungsgrad von 100% von Sauerstoff in Wasser ergibt sich folgende tabellarische Darstellung:
Man erkennt zweifelsfrei die starke Abhängigkeit des Sauerstoffgehaltes von der Temperatur des Wassers.
Luftdruck bei 20°C
Die Abhängigkeit der Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten wird durch das sogenannte Henry-Gesetz recht gut beschrieben. So besagt das Gesetz, daß der Partialdruck eines Gases über der Flüssigkeit in direkter Proportionalität zur Konzentration des Gases in der Flüssigkeit steht. Es gilt also
Für die Abhängigkeit des Sauerstoffgehaltes vom Luftdruck ergibt sich somit:
Wir sehen in der Tabelle zwei besondere Werte, den für 1013 hPa also für Normaldruck und 913 hPa. Letzterer wurde eingefügt um zu verdeutlichen, wie gering der Einfluß selbst des größten je gemessenen Luftdruckabfalls von 100 hPa ist. Der grün hervorgehobene Bereich entspricht grob dem normalen Bereich, die roten Bereiche entsprechen den Extremenwerten für Deutschland [2] (1060,8 hPa am 23. Januar 1907 in Greifswald bzw. 954,4 hPa am 27. November 1983 in Emden.)
Alternativ bietet sich hier der Vergleich mit der Temperaturabhängigkeit an. Der gelb markierte Wert von 8,90 mg/l ließe sich bei konstantem Luftdruck auch durch eine Abkühlung um 0,3°C erreichen, der entsprechende Wert von 8,73 mg/l entspräche dann einer Temperaturerhöhung von 0,7°C.
Einflüsse auf den Sauerstoffgehalt in realen Fließgewässern
Im letzten Abschnitt wurden die beiden physikalischen Einflüsse (Temperatur und Luftdruck) betrachtet. In realen Gewässern wird der Sauerstoffgehalt jedoch durch eine Vielzahl von Einflüssen bestimmt. Wasserpflanzen betreiben tagsüber Photosynthese und werden dadurch zu Sauerstoffproduzenten. Verwirbelungen durch Wehre, ins Wasser hängende Äste, etc. sorgen für eine bessere Aufnahme von Sauerstoff. Genauso verändern Salzgehalt (bestimmbar durch Leitfähigkeit) und Planktonmasse die Sauerstoffkonzentration eines Gewässers. Um verwertbare Aussagen über die verschiedenen Einflüsse auf die Sauerstoffkonzentration in einem Gewässer zu erhalten ist es notwendig über einen längeren Zeitraum die jeweiligen Werte zu messen. Die daraus folgenden Ergebnisse repräsentieren dann lediglich die nähere Umgebung der jeweiligen Meßstation, wie nachfolgende Tabelle [3] zeigt:
Man erkennt, daß zwischen verschiedenen Meßstationen, obwohl diese z.T. weniger als 10 km voneinander entfernt liegen, teils erhebliche Unterschiede in der Sauerstoffkonzentration gemessen wurden.
Die folgenden Gewässerdaten sind von der Internetseite des LANUV [4] entnommen.
Hier sieht man zunächst die Sauerstoffkonzentration über einen Zeitraum von sieben Tagen.
Genau wie der Sauerstoffgehalt ist auch der im folgenden gezeigte Temperaturverlauf über den gesamten Zeitraum nahezu konstant.
Die Spitze am Ende ist vermutlich auf einen Meßfehler zurückzuführen.
Im Vergleich zu den beiden Graphen soll abschließend der Verlauf des Luftdrucks über dem selben Zeitraum vorgestellt werden. Die hierzu benötigten Daten stammen von der Wetterstation der Stadt Mühlheim [5].
Obwohl der Luftdruck deutlich sichtbaren Schwankungen unterliegt, erkennt man entsprechende Schwankungen beim Sauerstoffgehalt des Wassers nicht.
Fazit
Der Einfluß des Luftdruckes auf den Sauerstoffgehalt ließ sich zumindest für Fließgewässer nicht erkennen und ist somit deutlich kleiner als häufig angenommen wird.
Ob und inwieweit der Luftdruck tatsächlich einen Einfluß auf den Angelerfolg hat, läßt sich nicht abschließend klären, da hierzu keine entsprechende Daten in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.
Persönliche Anmerkung
Ich glaube, daß die meisten Anglerthesen eher daher rühren, daß sie durch das Internet eine schnelle Verbreitung erfahren und sich kaum jemand die Mühe macht, seine Fangbücher statistisch auszuwerten.
Das ist etwa so wie die Diskussionen zwischen Florian und mir. Er (Frühaufsteher) ist fest davon überzeugt, daß morgens die Fische besser beißen. Ich (Langschläfer) finde in meinen Fangbüchern schlicht keinen einzigen Eintrag mit einstelliger Uhrzeit. Leider ist der Kerl nicht so doof meiner „statistischen“ Fangbuchauswertung irgendeine Wichtung zuzuordnen, stattdessen nervt er weiter rum und versucht mich mitten in der Nacht zum Aufstehen zu bewegen.
Literatur
- K. Hoarau. Supertyphoon Forrest (September 1983): The Overlooked Record Holder of Intensification in 24, 36, and 48 h. Weather and Forecasting, 15:357–360, June 2000.
- Deutscher Wetterdienst. Wetterrekorde – Luftdruck.
- LANUV. Wieder niedrige Sauerstoffkonzentrationen an der Station Muelheim (Ruhr- Stat.-km 14,1). 2010.
- LANUV. HYGON (Hydrologische Rohdaten Online). 2015.
- Stadt Mühlheim https://geo.muelheim-ruhr.de/wetterstation?time=1.
Bem.: Ursprünglich stammt dieser Artikel aus meiner Veröffentlichung im Dezember 2015